Alkohol und Eugenik im nationalsozialistischen Deutschland
Zwei Jahre bevor in den USA die Anonymen Alkoholiker gegründet wurden, machten sich die Nazis in Deutschland ebenfalls Gedanken wie unter anderem mit sogenannten Alkoholikern umzugehen sei.
Während man bei AA zumindest so etwas wie Hilfe für die Betroffenen unterstellen könnte, ging es hier im Nazideutschland darum, sogenannte Erbkranke aufzuspüren und sie zumindest erstmal von der Fortpflanzung abzuhalten. Später in der Geschichte verbrachten die Nazis sogenannte Asoziale zu denen auch sogenannte Alkoholiker zählten in KZs in sogenannter Schutzhaft. Diese wurden dann innerhalb dieser Vernichtungslager mit einem schwarzen Winkel auf der Kleidung gekennzeichnet.
Das ich mich von jedwedem braunen Gedankengut distanziere, erwähne ich jetzt nur mal um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen.
Die psychiatrischen Aufgaben bei der Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
aus dem Jahre 1934, geschrieben von verschiedenen Autoren unter der Federführung von Karl Bonhoeffer.
Anmerkung: Diesen Text habe ich als Fotokopie bekommen. Dafür eine freundliches Dankeschön ans Werner -Fuß-Zentrum. Und wurde von mir nur mit einem Scanner eingelesen und einem OCR Programm in lesbare From umgewandelt. Das <pre> ist bewußt gewählt um den Text so darzustellen wie er ist. Das Buch ist nicht im Handel erhältlich und nur bei einigen staatlichen Bibliotheken zur Einsicht verfügbar. Weiter habe ich nicht das komplette Buch als Kopie erhalten, sondern nur das Vorwort, sowie das Kapitel über den „Alkoholismus“.
Abbildungen der Seite 1 sowie des Inhaltsverzeichnisses.
Vorwort.
Die hier gesammelten kurzen klinischen Vorträge sind auf Wunsch der
Teilnehmer des erbbiologischen Kurses, der Anfang März in der
Nervenklinik der Charité für Psychiater und Neurologen gehalten wurde,
veröffentlicht worden. Abgesehen von dem von den Kursteilnehmern
erbetenen Vortrag über die Technik der Sterilisation sind lediglich
die psychiatrisch-neurologischen Fragestellungen, die sich aus dem
Gesetz bei den in Betracht kommenden Erkrankungen im Einzelfall der
Praxis für den Arzt ergeben, behandelt. Von der klinischen Diagnose
hängt ja die Entscheidung des Erbgerichts ab, die Sicherheit der
Diagnose ist die erste Voraussetzung für alles Weitere. Die Aufgabe
des Arztes, insbesondere des Psychiaters, der die Diagnose zu stellen
hat, ist also eine äußerst verantwortliche. Es sind nicht bloß die
differentiellen Schwierigkeiten der Artdiagnose, die, wie jeder
Kliniker weiß, oft nicht gering sind, z. B. bei der Frage, ob
symptomatische oder schizophrene Psychose, ob endogene oder reaktive
Depression, sondern vielleicht mehr noch solche der quantitativen
Ausbildung der Erkrankung. Denn wo die Grenze zwischen einer
erbbiologisch unbedenklichen Debilität und einem sicher auszumerzenden
Schwachsinn gelegen ist, wann eine endogene Verstimmung dem Grade nach
mit Sicherheit dem eigentlichen manisch-depressiven Irresein
zuzuweisen ist, läßt sich nicht mit der Schärfe einer Paralysediagnose
abgrenzen.
Hier wird sich allmählich ein Übereinkommen in der psychiatrischen
Praxis entwickeln müssen, das sich aus der Vertiefung der
erbbiologischen und klinischen Erfahrung ergeben wird.
Durch das Gesetz sind für die psychiatrische Forschung starke
Anregungen gegeben worden. So ist eine weitere Klärung der Kenntnis
der Umgrenzung und auch der Verursachung der Schizophrenien und der
Epilepsien mehr denn je Erfordernis. Das Studium der
Manifestationstendenz von krankhaften Anlagen, ihre Beeinflußbarkeit
durch exogene Faktoren gewinnt an Wichtigkeit. Auch bisher vom
Kliniker weniger beachtete Fragen, wie z. B. die der Fruchtbarkeit bei
den einzelnen Erbkrankheiten, die Häufigkeit des Vorkommens von
Organanomalien, welche die Konzeption ausschließen, bedürfen der
Untersuchung. Die Verkoppelung von krankhaftem mit eugenisch
wertvollem Erbgut in demselben Individuum stellt besondere Aufgaben.
Aus der Erwägung heraus, daß durch regelmäßige Mitteilung der
Erfahrungen aus den verschiedenen Kliniken der weitere Ausbau einer
sachgemäßen Eugenik im Sinne des Gesetzes am besten gefördert wird,
schien mir die Veröffentlichung der Vorträge geboten.
April 1934.
Bonhoeffer.
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Alkoholismus
von KURT POHLISCH.
Es fällt auf, daß der Alkoholismus im Gesetz keine bedeutende Rolle
spielt. Jedenfalls kommt er bei der Aufzählung der einzelnen
Krankheiten, die ja im großen und ganzen geordnet sind, nach der
Häufigkeit, für die Sterilisierung in Betracht kommt, an letzter
Stelle. Dies steht scheinbar im Gegensatz zu der Bedeutung, die seit
Jahrzehnten der Alkoholismus in der Erblichkeitsfrage spielt. Es ist ja
bekannt, daß die Forelsche Blastophtorielehre, wonach der Alkohol eine
Keimschädigung setzt, Jahrzehnte hindurch als hinreichend begründet
angesehen wurde und durch die antialkoholistische Propaganda in die
breite Masse des Volkes getragen worden ist. Um so überraschender muß
es wirken, daß nunmehr, wo wir über ein Sterilisierungsgesetz
verfügen, der Alkoholismus in diesem nur eine untergeordnete Rolle
spielt. Der Grund liegt darin, daß nach neueren Untersuchungen beim
Menschen die Frage, ob Alkohol keimschädigend wirkt, durchaus nicht so
bedingungslos bejaht wird, wie dies früher der Fall war. Die Frage muß
vielmehr durchaus offen gelassen werden.
Die moderne Erblehre geht sehr viel kritischer vor als die ältere. In
fast allen früheren Erbstatistiken über die Nachkommenschaft von
Trinkern sind grobe Fehler enthalten. Drei Gruppen von Fehlerquellen
treten deutlich hervor:
1. Es fehlt der Nachweis, daß der oder die Erzeuger z. Zt. der Zeugung
wirklich unter Alkoholwirkung gestanden haben. Dies gilt für fast alle
Fälle, bei denen Konzeption während eines einmaligen Rausches
angenommen wird.
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2. Es ist früher nicht berücksichtigt worden, daß die
Mehrzahl der Gewohnheitstrinker ihrer Anlage nach abnorme
Menschen sind, und zwar meist Psychopathen. Der Alkohol
mißbrauch ist bei ihnen nur Ausdruck einer abnormen An
lage. Von solchen Individuen kann man, auch ohne Hinzu
treten des Alkoholmißbrauchs, nicht ohne weiteres gesunde
Nachkommen erwarten.
3. Bei den Kindern ist mit Milieuschädigung zu rechnen,
auf die manches, was als psychopathisch registriert wird,
zurückzuführen ist.
Die erwähnten Fehler versuchte ich 1926 durch eine Auslese des
Erbmaterials nach folgenden Gesichtspunkten auszuschalten:
Der Nachweis einer Alkoholvergiftung beim Erzeuger z. Zt. der Zeugung
läßt sich bei keiner Form der Alkoholintoxikation mit so großer
Wahrscheinlichkeit erbringen, wie bei Delirium-tremens-Kranken. Das
erste Delir entwickelt sich stets erst nach einer Reihe von Jahren mit
schwerstem regelmäßigem Alkoholmißbrauch. Bei einer Zeugung während
dieser Zeit besteht also beim Erzeuger eine schwere Schädigung des
Organismus durch Alkohol. Die in dieser Zeit erzeugten Kinder wurden
untersucht.
Als Probanden kamen nicht anlage-, sondern milieugeschädigte
Gewohnheitstrinker in Betracht, und zwar solche, bei denen auch im
Erbgang keine Häufung von Psychopathie vorkam. Meist handelte es sich
um Berliner Gastwirte.
Auf 58 solcher Trinkerehen entfallen 146 lebend geborene Kinder, die
im Alkoholismus gezeugt sind, mit einem Durchschnittsalter von 14
Jahren. Im Säuglingsalter starben
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5, unter den Überlebenden fanden sich nur 5 Psychopathen,
1 Debiler und 1 Fall mit Epilepsieverdacht. Also keine
Häufung von Minderwertigkeiten.
Panse (Wittenauer Heilstätten) hat dann 722 Kinder von solchen
schweren Gewohnheitstrinkern untersucht, bei denen Zeugungen sowohl in
die alkoholische wie in die voralkoholische Lebensperiode fallen. Es
wurden nur solche Trinker ausgewählt, bei denen sich diese Trennung
ermöglichen ließ. Aus 200 solcher Trinkerehen gingen 265 vor dem
chronischen Alkoholismus und 457 im chronischen Alkoholismus gezeugte
Kinder hervor. Das Durchschnittsalter lag in der Pubertät. Prozentual
berechnet, ergab sich kein Unterschied zwischen beiden Gruppen, und
zwar für Säuglingssterblichkeit, Psychopathie, Schwachsinn und
Epilepsie.
Zu erwähnen ist noch eine Arbeit von Boß aus dem Burghölzli. Er fand
unter 1246 Kindern von 572 möglichst erbgesunden Trinkern keineswegs
viel körperlich und psychisch Minderwertige. Dem Vorteil der großen
Zahl steht der Nachteil gegenüber, daß die Nachkommen nicht genügend
untersucht worden sind.
Scheinbar im Widerspruch zu diesen Untersuchungen beim Menschen stehen
experimentelle am Tier und an Pflanzen. In den letzten Jahren ist ja
die Frage, ob Mutationen, insbesondere minderwertige, durch äußere
Einflüsse entstehen können, im Tier- und Pflanzenexperiment mit großem
Erfolg und meist an größerem Material, als es beim Menschen möglich
ist, bearbeitet worden. Es ist gelungen, durch starke chemische und
physikalische Reize Mutationen willkürlich zu erzielen. Hier können
nur ange-
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führt werden: Die Erzeugung von Mutationen bei der Taufliege
durch Röntgenbestrahlung (Muller u. a.), ferner beim Löwenmaul durch
physikalische und chemische Reize (Baur, E. Stein und Stubbe); ferner
die Erhöhung der Säuglingssterblichkeit bei den Nachkommen alkoholisierter
männlicher Hausmäuse (A. Blüh m). Allerdings ist hier,
obwohl Kontrolluntersuchungen vorliegen, ein exogener Faktor nicht
auszuschließen.
Neuerdings hat A. Bluhm bei männlichen Mäusen durch Behandlung mit
Ricin eine spezifische Giftüberempfindlichkeit erzeugt. Diese trat
auch in der F l- und F 2-Generation auf.
Es ist nun festzustellen, daß diese an Tier und Pflanze gewonnenen
Ergebnisse von mancher Seite auf die Erbverhältnisse beim Menschen
übertragen worden sind. Man hat eine ähnliche Schädigung des Erbgutes
durch exogene Einflüsse angenommen.
Da es sich um Erschließung eines neuen Gebietes in der
Erbwissenschaft, und zwar um ein eugenisch außerordentlich wichtiges
handelt, sind von klinischer Seite her kritische Erwägungen notwendig.
Allerdings hat der Tierexperimentator den Vorteil, mit großen Zahlen
und mehreren Generationen rechnen zu können. Mutationen pflegen ja
erst nach mehreren Generationen aufzutreten. Andererseits schafft der
Experimentator optimale oder doch annähernd optimale Bedingungen, um
die Keimzellen durch äußere Reize zu schädigen, etwa durch direkte
Bestrahlung der Keimzellen oder durch enorme Zufuhr von Giften in den
Organismus. Der Analogieschluß ist ja zulässig, daß die Erzeugung von
Mutationen auch beim Menschen möglich sei;
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wir dürfen jedoch bei exogenen Giftstoffen, also auch bei dem uns hier
interessierenden Alkohol, einen Vergleich zwischen nichtmenschlichen
und menschlichen Organismen in Bezug auf die Schädigung der Keimzellen
nur mit größter Vorsicht ziehen. So ist z. B. eine direkte Schädigung
der Keimzellen beim Menschen nur durch Röntgenbestrahiung erwiesen.
Es spricht alles dafür, daß die bei Pflanze und Tier künstlich
erzeugten Mutationen als weniger komplex aufzufassen sind und deshalb
offensichtlich leichter entstehen als beim Menschen etwa die
wahrscheinlich polymer bedingte Psychopathie, Epilepsie und
wahrscheinlich auch der Schwachsinn.
Beim Menschen kommt außer der chronischen Intoxikation durch Alkohol
noch eine zweite chronische Vergiftung vor, die sogar ganz besonders
geeignet ist, die Frage der Keimschädigung, jedenfalls für die
F1-Generation, zu untersuchen: Der Morphinismus. Hier lassen sich, wenn
man vorsichtig vorgeht, mit der Sicherheit eines Experiments Fälle
zusammentragen, bei denen die Epoche des Morphinismus scharf
abgegrenzt ist und überdies deutliche Schädigungen der
Sexualfunktionen bestehen. Bei etwa 3500 Morphinisten habe ich bisher
etwa 200 Kinder ermittelt, deren Väter sich z. Zt. der Zeugung im
Morphinismus befanden. Diesen Kindern steht zum Vergleich etwa die
Hälfte aus derselben Ehe, jedoch nicht im Morphinismus gezeugten
Kinder gegenüber. Ein Unterschied zwischen beiden Kindergruppen
besteht nicht. Psychopathie ist sehr häufig, und zwar handelt es sich
meist um denselben Psychopathentyp wie beim Erzeuger, so daß dominante
Vererbung der
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Psychopathie wahrscheinlich ist; jedoch keine in der F1 sich
manifestierende Neuentstehting minderwertiger Erbanlagen.
Weibliche Morphinisten konzipieren sehr selten; jedoch ist eine
Konzeption selbst dann möglich, wenn die Menstruation Monate oder
Jahre vorher ausgesetzt hat. Wird der Morphinismus während der
Schwangerschaft fortgesetzt, so können nach der Geburt beim Kinde,
besonders wenn die Mutter nicht stillt, Entziehungserscheinungen
auftreten, an denen ein Teil der Kinder stirbt. Bleiben die Säuglinge
leben, so ist späterhin nichts Sicheres nachweisbar, was für Frucht-
oder Keimschädigung spricht. Bisher wurden 36 morphinistische Mütter
untersucht. Die Erhebungen über Morphinistennachkommen werden
fortgesetzt und demnächst veröffentlicht.
Ich komme auf das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zurück.
Der in Betracht kommende Passus lautet: "Ferner kann unfruchtbar
gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet." Dem Sinn des
Gesetzes nach können nur solche schweren Formen gemeint sein, die auf
dem Boden einer minderwertigen Erbanlage entstanden sind. Der
Häufigkeit der Anlageanomalie nach handelt es sich um Psychopathie,
angeborenen Schwachsinn, erbliche Epilepsie und vereinzelt um
manisch-depressive oder schizophrene Anlage. Soweit ausgesprochene
Geisteskrankheit mit schwerem Alkoholismus kombiniert auftritt, fällt
es nicht schwer, sich für Sterilisierung auszusprechen. Zur Diskussion
stehen dagegen die Fälle, bei denen sich schwerer Alkoholismus oder
gar das Krankheitsbild des chronischen Alkoholismus auf dem Boden
einer Psychopathie entwickelt hat, oder sogar ohne Psychopathie. Die
Schwere der Psycho-
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pathie braucht nun in keinem direkten Verhältnis zur Schwere des
Alkoholismus zu stehen. Einerseits kann die Psychopathie so schwer
sein, daß sich, verbunden mit Alkoholintoleranz, gar kein schwerer
Alkoholismus entwickelt; andererseits kann sich gerade bei
körperlicher und psychischer Robustheit, verbunden mit erheblicher
Alkoholtoleranz, schwerer chronischer Alkoholismus herausbilden. Ich
konnte nachweisen, daß ein erheblicher Teil der
Delirium-tremens-Kranken aus der Nachkriegszeit weder phäno- noch
genotypisch eine psychopathische Anlage erkennen läßt. Bei diesem ist
der gewohnheitsmäßige Alkoholmißbrauch teils milieubedingt, teils
Ausdruck eines zyklothymen Temperaments. Dieses wird man jedoch nicht
als psychopathische Anlageanomalie, sondern als eine noch normale
Temperamentsspielart auffassen. Eine Häufung von manischdepressiven
Erkrankungen findet sich nämlich in den Familien dieser Trinker nicht.
Die F 1-Generation weist keine Häufung von Minderwertigen auf. Man
wird also diese Gruppe von Trinkern nicht sterilisieren.
Zu erörtern, ob Sterilisierung in Betracht kommt, sind jedoch Fälle
von schwerem Alkoholismus mit ausgesprochener psychopathischer Anlage.
Der Gesetzgeber fordert nicht das Vorliegen von chronischem
Alkoholismus, dessen Krankheitsbild ja scharf umrissen ist, sondern es
genügt schwerer Alkoholismus, also auch zeitweiliger. Bei diesen
Trinkern entscheidet nun nicht allein die Schwere des Alkoholismus,
sondern auch, ja sogar ganz besonders, die Schwere der
psychopathischen Anlage. Manifestiert sich diese phänotypisch sehr
deutlich und ist sie überdies genotypisch nachweisbar durch eine
Häufung von Psychopathen in der Fa-
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milie, insbesondere von psychopathischen Trinkern, so wird man sich
für Unfruchtbarmachung aussprechen.
Es liegt hier also der einzige Fall im Gesetz vor, wo die
Psychopathie, allerdings im Zusammenhang mit schwerem Alkoholismus,
als Erbkrankheit im Sterilisierungsgesetz bewertet werden kann.
In Analogie zum schweren Alkoholismus hätte der Gesetzgeber auch den
Morphinismus, wenn phäno- und genotypisch schwere Psychopathie
vorliegt, in das Gesetz einbeziehen können. Ich halte dies jedoch
nicht für notwendig. Die Zahl der Morphinisten ist in Deutschland sehr
gering; auf 10000 Erwachsene entfällt nur ein Morphinist. Die
Fruchtbarkeit ist, wie sich aus meinem Material von etwa 2000 in
dieserHinsicht exakt erfaßten ergibt, äußerst gering. Viele
Morphinisten sterilisieren sich sozusagen selbst, und zwar toxisch.
Mit dem Alkoholismus ist in das Gesetz die Psychopathie eingeführt
worden. Hinsichtlich des Erbgangs der Psychopathie stehen wir noch im
Beginn exakter Erhebungen. Über chronischen Alkoholismus und
Morphinismus, die uns hier ja an erster Stelle interessieren, liegen
jedoch schon Untersuchungen vor. Unter den Brüdern chronischer
Alkoholisten fand ich gewohnheitsmäßigen Alkoholmißbrauch bei 22
Prozent. Unter den Vätern bei 47 Prozent, also eine deutliche Häufung,
die sich, natürlich sehr viel geringer, auch bei den Schwestern und
Müttern ergab. Dagegen fand sich Morphinismus außerordentlich selten.
Andererseits trat bei den Geschwistern der Morphinisten 4 Prozent und
bei den Eltern 3 Prozent Morphinismus auf, also eine deutliche Häufung
im Vergleich zu dem seltenen
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Vorkommen in der Bevölkerung. Es ist nun beachtenswert, daß sich in
diesen Familien, trotz häufiger Psychopathie, chronischer Alkoholismus
selten vorfindet. Dies erklärt sich durch die Verschiedenartigkeit der
Psychopathieformen bei beiden Suchten. Es gibt keine Anlage zum
Süchtigwerden schlechthin; vielmehr bestehen, jedenfalls für diese
beiden Suchten, verschiedenartige psychopathische Konstitutionstypen.
Beim chronischen Alkoholismus sind es vor allem die erregbaren,
reizbaren, explosiblen Psychopathen; seltener kommen die hyperthymen
und depressiven vor. Gut abgrenzbar sind noch die schizoiden
Alkoholiker Binswangers und die trinkenden Vagabonden, die
Bonhoeffer beschrieb. Gelegentlich lassen sich auch Willensschwache
und Pseudologen gut herausheben. Recht häufig sind
Mischformen der erwähnten Typen oder typologisch nicht Einzureihende.
Der Vollständigkeit halber sei noch auf Epilepsie, Schwachsinn und auf
manisch-depressive und schizophrene Anlage verwiesen.
Die Persönlichkeitsstruktur der Morphinisten ist sehr viel
komplizierter, jedenfalls anders, als die der Alkoholisten. Darauf
kann hier nicht eingegangen werden.
Bei schwerem Alkoholismus der Frau ist sehr viel eher zu sterilisieren
als beim Mann, da er hier fast immer mit einer erheblichen
psychopathischen Anlage einhergeht. Bei den Trinkerinnen der Charité
ergab sich sehr oft ein trinkender Vater und Häufung von Alkoholismus
und anderen Psychopathiefällen in der Familie. Oft wurde als Ehegatte
ein Trinker gewählt. Gerade bei Trinkerinnen wird man ja das Moment
der schlechten Aufzucht der Kinder bei
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Erörterung der Sterilisierung nicht außer acht lassen dürfen und etwa
so veranschlagen wie bei weiblichen Schwachsinnigen. Hervorzuheben
ist, daß trotz körperlicher Schwäche und grazilem Körperbau große
Alkoholtoleranz bestehen kann. Recht häufig kommt als psychopathische
Eigenschaft triebhafte Unruhe vor, so daß man hier von einem sucht
mäßigen Mißbrauch des Alkohols sprechen muß.
Anhang Die Technik der Unfruchtbarmachung
von G. A. WAGNER.
Handelt es sich um die Unfruchtbarmachung zum Zwecke der Verhütung
erbkranken Nachwuchses, dann kommen ausschließlich solche Methoden in
Frage, welche zu einer dauernden Unfruchtbarkeit führen. Nur in
seltenen Fällen könnte die zeitweilige Unfruchtbarmachung in Betracht
gezogen werden. Hätte z. B. ein vollkommen gesunder Mann eine Frau,
die erbkrank und damit (Üträgerin einer Erbkrankheit ist, und
bestände bei dieser Frau eine Gegenanzeige gegen einen operativen
Eingriff, dann sollte, um Nachwuchs aus dieser erbkranken Ehe zu
verhindern, der Ehemann unfruchtbar gemacht werden dürfen,
vorausgesetzt, daß mit Sicherheit angenommen werden kann, daß ein
außerehelicher Verkehr der Frau ausgeschlossen ist. Ginge nun dieser
Mann später eine zweite Ehe ein, dann müßte die Möglichkeit bestehen,
daß er sich weiter fortpflanzt. Nach dem jetzigen Gesetz aber ist die
Unfruchtbarmachung eines Gesunden, auch die zeitweilige, nicht
zulässig.
